Gedächtniskultur ist keine rein museale Angelegenheit, sondern setzt mühsame Erinnerungsarbeit voraus, geleistet vor allem von der Literatur. Der 1934 in Ostpreußen geborene Schriftsteller Arno Surminski wendet sich einem lange Zeit verdrängten Kapitel aus der Geschichte der letzten Kriegsmonate zu. Im Januar 1945 wurden Tausende Gefangene, die meisten von ihnen junge jüdische Frauen aus Osteuropa, aus den ostpreußischen Außenlagern des KZ Stutthof über Kaliningrad (Königsberg) nach Jantarnyj (Palmnicken) getrieben und dort an der samländischen Bernsteinküste von Wachmannschaften der SS erschossen, von Hitlerjungen gejagt und, nur in sehr seltenen Fällen, von dort sesshaften Bauern gerettet. Arno Surminski erzählt diese zum Holocaust gehörende Geschichte als Erinnerungsroman. Der Erzähler, ein Nachkriegskind, kann nicht verwinden, dass sein Vater als Mitglied der Waffen-SS sehr wahrscheinlich zu den Tätern des Massakers gehörte. Er begibt sich im Jahr 1998 auf Spurensuche vor Ort. Mithilfe einer polnischen Philosophiestudentin und eines Taxifahrers kommt er den Ereignissen von damals immer näher, nie jedoch so nahe, dass es gegenüber dem Wissenkönnen
zum Verstehen reicht. Den Hauptteil des Buches nehmen Episoden ein, die vom
Leidensweg von vier jungen Frauen aus dem Ghetto Lodz zur Ostseeküste und vom
Elend der Zivilbevölkerung erzählen, dicht orientiert an Zeitzeugenberichten,
aber offenbar frei genug nacherzählt, um den Titel des Buches zu rechtfertigen:
“Roman der Zeitgeschichte”.
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